Dr. Adriane Rinsche
Dr. Adriane Rinsche, geb. 08.03.1954 in Münster, Wohnort: London
München/Nürnberg/London, 06.02.2007
Interviewer: Stephan Balling
Europäische Flughäfen sind ihr zweites zu Hause. An bis zu 100 Tagen
ist Adriane Rinsche jährlich unterwegs, um Projekte mit verschiedenen
Unternehmen und Institutionen aus ganz Europa zu planen und durchzuführen.
Der Prototyp einer Europäerin. Die promovierte Computerlinguistin schätzt
die Vielfalt Europas.
Gerade kommt die 52-Jährige aus dem österreichischen Kufstein, wo
sie mit namhaften Partnern wie der Fraunhofer-Gesellschaft oder der Universität
St. Gallen an einem Auftrag der Europäischen Union gearbeitet hat. Zuvor
war sie in Berlin. Vom Flughafen München geht es nun zurück nach
London. Den Reisestress merkt man ihr nicht an, sie wirkt entspannt und hat
gute Laune, macht auch gerne mal einen Witz zwischendurch. Die zweifache Mutter
trägt Business-Kleidung.
Wortgewandt und selbstbewusst erzählt sie über ihren bisherigen beruflichen
und privaten Werdegang. Die Deutsche lebt seit 1987 in London. Im Jahr 1992
gründete sie dort ihr Unternehmen, die „Language Technology Centre
Ltd.“. Die Geschäftsfrau betont, dass sie sich stets bemüht
habe, einen gesunden Ausgleich zwischen Berufs- und Privatleben zu finden.
Wie hat sich Ihr Leben durch Europa verändert?
Durch die Europäische Union war es viel einfacher, nach meinem Studium
nach London zu gehen, um dort zu arbeiten. Ursprünglich wollte ich nur
ein Jahr in England bleiben, um etwas Auslandserfahrung zu sammeln. Doch dann
bin ich dort geblieben. Das ist jetzt schon nahezu 20 Jahre her. Hätte
es damals große bürokratische Barrieren gegeben, wäre ich vielleicht
nicht nach Großbritannien gegangen. Dank der EU musste ich mich nicht
um Dinge wie eine Aufenthaltserlaubnis oder eine Arbeitsgenehmigung kümmern
und konnte verschiedene Dinge ausprobieren.
Heute ermöglicht es mir die EU, in meiner Firma, dem ‚Language Technology
Centre’, ohne großen bürokratischen Aufwand ein internationales
und multikulturelles Team aus vielen europäischen Ländern zu beschäftigen.
Durch den europäischen Binnenmarkt können wir grenzüberschreitend
tätig sein. Außerdem profitiert meine Firma heute von der EU-Forschungsförderung.
Diese macht es uns möglich, immer wieder neue Technologien zu erproben
und zur Marktreife zu bringen.
Was genau machen Sie beruflich?
Ich habe im Jahr 1992 die ‚Language Technology Centre Ltd.’ in
London gegründet. Mittlerweile hat meine Firma über 30 fest angestellte
Mitarbeiter und ist in ganz Europa tätig. Vor zwei Jahren haben wir mit
einem Büro in Washington unser Geschäftsgebiet auch auf Amerika ausgeweitet.
Das Unternehmen hat drei miteinander verbundene Unternehmensbereiche: Wir entwickeln
Informationssysteme für mehrsprachige Geschäftsprozesse, bieten sprachbezogene
Dienstleistungen, wie etwa Übersetzungen, Website- und Softwarelokalisierung
oder ein multilinguales Call-Center, und beraten multinationale Unternehmen
und öffentliche Einrichtungen, darunter die Europäischen Institutionen.
So habe ich alle in der Welt relevanten Übersetzungssysteme im Auftrag
der EU evaluiert. Von der EU werde ich auch als Gutachterin bei Anträgen
auf Forschungsförderung eingesetzt.
Was ist Ihre Idee von Europa?
Ich schätze die kulturelle Vielfalt in Europa. Die EU sollte eine starke
wirtschaftliche Macht sein, auch als Gegenpol zu anderen Regionen auf der Welt,
wie Amerika, Russland, China oder dem arabischen Raum. Dazu ist eine möglichst
weitgehende Integration zumindest auf wirtschaftlichem Gebiet nötig. Als
Unternehmerin wünsche ich mir besonders einen einheitlichen Markt mit
einheitlichen Regelungen, damit der bürokratische Aufwand geringer wird,
wenn wir in unterschiedlichen Mitgliedsländern tätig sind.
Politisch sollten die einzelnen Länder aber natürlich selbständig
bleiben, man sollte nicht alles in Brüssel zentralisieren. Als nächster
Schritt wäre meiner Meinung nach wichtig, die EU-Verfassung umzusetzen,
weil diese einiges vereinfachen würde.
Wie stellen Sie sich Ihre Zukunft in Europa vor?
Ich werde auf jeden Fall in Europa bleiben. Ich kann mir nicht vorstellen,
außerhalb Europas zu leben. Dazu bin ich einfach zu stark in der europäischen
Kultur und Geschichte verwurzelt. Ich möchte das nicht missen. Ob ich
in Großbritannien bleibe oder eines Tages wieder zurück nach Deutschland
gehe, weiß ich noch nicht.
Wie stellen Sie sich die Zukunft von Europa vor?
Wir brauchen ein starkes, vereintes Europa mit möglichst wenig Bürokratie.
Dabei muss die kulturelle Vielfalt gewahrt werden. Wir brauchen Respekt vor
der Kultur jedes einzelnen Landes. Bei all den unterschiedlichen Mentalitäten
kann es nämlich leicht zu Missverständnissen kommen, das merke ich
gerade in meinem Unternehmen, das ja ständig grenzüberschreitend
aktiv ist. Wir müssen mehr von- und übereinander lernen. Deshalb
brauchen wir noch mehr Austauschprogramme für junge Menschen.
Was stört Sie an der EU?
Ich denke, man könnte in der EU einiges an Bürokratie abbauen. Beispielsweise
könnte man damit anfangen, für das Parlament nur einen Standort zu
haben statt derzeit zwei. Außerdem müssten die Mitarbeiter der europäischen
Behörden stärker leistungsbezogen bezahlt werden. Ich würde
mir auch wünschen, dass die hohen Agrarsubventionen in der EU endlich
reduziert werden. Dadurch würde man nicht nur Geld sparen, sondern auch
die negativen ökologischen Auswirkungen dieser Beihilfen reduzieren. Es
wäre wesentlich sinnvoller, lokale Agrarprodukte vor Ort zu fördern.
Was war Ihr wichtigster Moment in der EU?
Als ich 1991 meinen ersten Auftrag von der EU erhielt. Ich habe damals noch
an meiner Doktorarbeit mit dem Thema ‚Evaluationsverfahren für
maschinelle Übersetzungssysteme’ geschrieben und war parallel
dazu freiberuflich in London tätig. Der Auftrag passte genau zu meinem
Thema. Ich sollte die maschinellen Übersetzungssysteme, die es zu dieser
Zeit auf der Welt gab, evaluieren. Die EU wollte nämlich wissen, ob
ihr Übersetzungssystem, das seit 1976 bei ihnen im Einsatz war, noch
adäquat war. Im Anschluss an das Projekt hat die EU dann meine Doktorarbeit
veröffentlicht, was natürlich sehr gut für mich war.
Ein ebenfalls wichtiger Moment war vor zwei Jahren die Zusage eines unserer
größten Projekte, das wir mit Hilfe der EU finanzieren: das EUCAM
Projekt. Wir arbeiten mit Daimler Chrysler, der IG-Metall und verschiedenen
europäischen Partnern an einer multilingualen Infrastruktur für E-Learningsysteme
im Produktionsbereich zusammen.
Die Idee des E-Learnings ist, dass die Arbeiter an Computerterminals in Eigenregie
lernen können und sich nicht von Schulungsleitern berieseln lassen müssen.
Dabei haben sie gleichzeitig die Möglichkeit, Verbesserungsvorschläge
zu machen. Da die Installationen des E-Learning-Systems aber in verschiedenen
Ländern erfolgen, ist es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass
jeder die Terminals in seiner Muttersprache bedienen kann, und Inhalte für
Manager aus anderen Ländern auch mit Hilfe unserer multilingualen Technologie
dynamisch übersetzt werden können, damit zu der fachlichen Herausforderung
nicht auch noch eine sprachliche kommt.
Stephan Balling
Gärtner Straße 62
68169 Mannheim
Tel.: 0621-3903432
Mobil: 0176-22506056
Email: stephan.balling@gmail.com
Dr. Adriane Rinsche
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Mobil: 0044 7710325665
Email: adriane.rinsche@langtech.co.uk
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